Dieser Taktsinn-Abend stellte in der Reihe der weiteren experimentellen Settings einen ersten Versuch dar, in dem zum einen versucht werden sollte, dem „Nicht-Visuellen“ in Forschung, Kunst und Alltag näherzukommen. Zum anderen interessierte mich hier das Format des Forschungsdinners: Was kann dieses leisten und welches (besondere) Wissen kann es hervorbringen? Als allen vertrauter, performativer Rahmen diente hier das Festmahl, in dem die Gäste durch die Tischreden und das per se sinnliche Essen zum Austausch über das Nicht-Visuelle angeregt werden sollten.
Hierbei erwies es sich als schwierig, eine routinierte Alltagspraktik wie das Essen über einen längeren Zeitraum bewusst wahrzunehmen. So war der Austausch mit den TischnachbarInnen über das Nicht-Visuelle ja ausdrücklich erwünscht. So schwankte der Fokus zwischen der subjektiven, sinnlichen Wahrnehmung und dem kollektiven Erlebnis des Essens, Zuhörens und Diskutierens. Dabei wurde das ominöse „Nicht-Visuelle“ zwar in den einzelnen Vorträgen an konkrete Beispiele gebunden, eine übergreifende Definition konnte der Abend jedoch nicht leisten. Trotz der von Vielen als offen, entspannt und freundlich empfundenen Atmosphäre gab es auch Gäste, die insbesondere die gemeinsamen Diskussionen zu den einzelnen Vorträgen als zu akademisch erlebten.
An der beschriebenen Atmosphäre hatte das Essen einen maßgeblichen Anteil. Aber auch das eher Ungeplante und Beiläufige lieferte einen wichtigen Beitrag: So nahm das Tageslicht im Raum mit jedem Gang und jeder Tischrede etwas ab, bis am Ende zum Dessert der Raum in eine Mischung aus Abenddämmerung und blauem Scheinwerferlicht getaucht war. Angelika Leisering beschrieb dieses zu Beginn ihres Vortrags passend mit dem Begriff des „leisen Lichts“. Diese Form des Offenen und Experimentellen fand auch Einzug in die Klangcollage von Siegfried Saerberg, indem sich Kirchenglocken und Kinderstimmen von draußen mit den Sounds vom Band vermischten. Damit war für einige Gäste die Erkenntnis verbunden, dass auch beim Hören Bilder erzeugt werden bzw. generell Visualität nicht nur etwas mit dem Sehen von äußeren Eindrücken zu tun hat, sondern auch eine Form des Verstehens, des Übersetzens von allen Sinneseindrücken ist.
In den Diskussionen stellte sich jedoch auch heraus, dass auch das „Nicht-Visuelle“ eine Konstruktion ist, die durch das Ausschließen eines Sinnes die Dominanz des Visuellen nicht überwinden kann. Vielmehr konnte man dem Nicht-Visuellen durch bewusste Aufmerksamkeit für das Beiläufige auf die Spur kommen: Bei zufälligen Berührungen oder beim Suchen nach den richtigen Worten für ein Gefühl das beim Zuhören erzeugt wird. Für das Erleben von Geschmack, Gerüchen und Geräuschen als Form des Nicht-Visuellen wurde dabei auch noch einmal die stärkere Unmittelbarkeit festgestellt. Diese Wahrnehmungen wurden zudem als viel linearer beschrieben als visuelle Eindrücke, die z.B. durch das perspektivische Sehen einer permanenten Überlagerung unterliegen.